Heute, ein schöner Tag. Es gab nur ein Ziel: das Ziel oder Seppuku auf der Strecke. Anlässlich meines Dokumentarfilms probierte ich alle Sportarten, die im Film Aktiv ins Alter vorkommen, selbst aus. Ein ganz persönlicher Wettkampfbericht, der nur ansatzweise meine Erfahrungen in der Triathlon Welt beschreiben kann. Nach sechs Wochen intensivsten Trainings mit meinem Freund Manuel Küng trat ich mit dem Startschuss hinaus in eine völlig neue Welt. Eine Welt der Geschwindigkeit, der Freude und des Schmerzes.
Ich ging in mich, tiefe Autosuggestion, Befreiung – Zweifel und Bedenken gab es keine mehr. Ich würde mit rasselnden Säbeln auf die drei Schlachtfelder hinausziehen und sehen, ob mein Ego mitrennen konnte. Ich war bereit für eine Nahtoderfahrung, und egal, ob ich verkotzt, vollgeschissen oder mit verblutetem Gesicht im Ziel ankommen würde – heute wollte ich in die ungeheilten Tiefen meiner Seele vordringen und schauen, aus welchem Holz ich wirklich geschnitzt war. Ich wartete ganz hinten im Lauf meines Frontladers auf den Startschuss, gut eingebettet in ordentlich Schießpulver.
BOOM! Ich hechtete los, mit glänzenden Säbeln hinein ins Sonnenlicht, das sich auf dem Wasser wie Honig auf warmer Butter spiegelte.
Schwimmen.
Ich dachte an die Robbe, die ich auf meiner Weltreise gesehen hatte, und wie mühelos sie durchs Wasser glitt. Ich tat es ihr nach und verwandelte mich in Gedanken in einen Orca, der immer den schnelleren Schwimmern hinterherjagt und diese überholt. Pacman sammelte Punkte. Ich sank auf den dunklen Grund des Zürichsees und plötzlich war ich am Ufer angekommen. Den Neoprenanzug herunterreissen, allen hinterherrennen zur Wechselzone – das kann ich.
Velo
Ich preschte voran, meine 80 kg auf die scheinbar nicht endenden Strassen in Wallung bringen, mal mit, mal gegen die Erdanziehungskraft.
Lass es einfach fliessen, der sogenannte Flowmodus als Weg Begleiter und ich hatte keine Sorgen mehr. Mein ganzes Leben, all die schönen Momente, die Freude, die Liebe, sprudelten aus meinem Herzen.
Ich bin keiner dieser hochgezüchteten, optimierten, keto-ernährten 1.4-Liter-Auto-Einspritzmotoren, die während der Trainingsphase den Luxus hatten, nur auf Öl zu laufen. Ich war mehr eine qualmende, glühende, ölspuckende Maschine, die weder Geschwindigkeit, Watt noch Temperaturanzeigen hatte. Ich liess keinen Verpflegungsposten aus, um den riesigen Dieselzylinder mit genügend Zündstoff und Schmiermittel zu versorgen. Und ja du hast Recht Brett Sutton ich brauchte keine GPS Computer.
Die Versorgung stockte. Komm schon, ein Atom hat keine Masse, der Rest ist Energie und Bewusstsein, und daraus werde ich weitere Tanks voller Energie holen und der glühenden Sonne entgegenpreschen.
Also hängte ich ein neues Fass Energie an mein System der Oberschenkel und fuhr weiter.
Entweder verbiege ich mich oder das Rennrad… Letzteres war der Fall. Ich verbiss mich in die Stahlbarren meines Lenkers und wurde zum Lenker meines Schicksals.
Niemals war ich mit solchen Geschwindigkeiten unterwegs. Als ich nach 1:13 h realisierte, dass ich die erste Runde geschafft hatte, wiederholte ich die zweite Runde, einfach mit copy-paste, genau gleich.
In der Wechselzone zum Lauf, hätte ich nicht einmal mehr das Wettkampfjahr nennen können und musste eine der Helferinnen zärtlich und inständig fragen, wo mein verdammter Wechselsack hing. Sonst wäre ich eben mit den Radschuhen und Helm den Halbmarathon gelaufen. Sie zeigte mir anhand meiner Startnummer liebevoll lächelnd und fast besorgt, in welcher Richtung meine Laufschuhe hingen.
Ein Honigdachs hat zwei Möglichkeiten: Kämpfen oder vergehen.
Laufen
Leichtfüssig stellte ich mir das Laufen vor. Leicht, leicht – es geht leicht. Schritte zählen, im Takt bleiben wie eine Armee, die fröhlich auf sich selbst zumarschiert.
Der Bass, woher er auch kommen mochte, dröhnte in meinem Kopf, und weil Aufgeben keine Option war, trieb ich mich weiter durch die Gassen und watete im Dunkeln durch klebrigen Teer. Das Licht sieht man oft, wenn es zu spät ist.
Nur mein Wille hielt die müden Knochen noch zusammen und verhinderte das komplette Auseinanderbrechen meiner Vision, mich unter sechs Stunden ins Ziel zu schleifen. Mein Fleisch war bereit, sich von den Knochen zu lösen, doch ich bestand darauf, die über 30 Grad in der Endstufe meiner körperlichen Leistung, noch ein wenig zu geniessen.
Ich fühlte mich irgendwie so mobil wie ein Kaugummiautomat, der in der fünften Dimension feststeckt und nicht mehr vom Fleck kommt.
Hmm… Meine Hülle lief schräg. Ich hätte bei der Numerologie besser aufpassen sollen und meinen unteren Rücken, meine Sollbruchstelle, besser trainieren müssen.
Ich schob mich voran, wie ein Zug, der auf gebrochenen Schienen mit Volldampf in einen Sackgassenbahnhof einfährt. Der Dampfkessel schon lange explodiert, und die ächzende Lokomotive raste nur noch mit der bereits vorher aufgebauten Geschwindigkeit in einer Dampfwolke weiter in Richtung Walhalla.
Irgendwie war ich doch zügig unterwegs, denn ich erkannte einen Mann, der vor mir gestartet war und nun weit hinter mir lag. Beim Infoanlass am Tag zuvor war der kleine Dicke noch belächelt worden, doch ich wusste, was in mir schlummerte.
Erfolg kann nur mit der Währung harter Arbeit erkauft werden.
Zwei Kilometer vor dem Ziel war es Zeit, aus dem tiefen Unterbewusstsein meiner Schmerz-Selbsthypnose zurückzukommen und den irdischen Jubel, der mich umhüllte, zu genießen.
Der Zieleinlauf – weder verkotzt noch vollgeschissen, ich überraschte mich 4:51 h Wie hatte ich das wieder geschafft?
Und es ging mir wie tausenden anderen Sportlern, die den ganzen Zauber nur veranstalten, um der Essenz und ihrem Selbst ein kleines Stück näher zu kommen.
Ich danke allen und bei diesem Unterfangen vor allem Manuel Küng für die Freundschaft, die vielen schwarz-weiss Trainings und das Zeitfahrgerät, welches im am Vortag des Rennens von dir erhalten habe.